Papa Mia - Die unterschätzte Rolle des Vaters
Retrospektiv betrachtet, bin ich ein ziemliches Glückskind. Meine
Eltern waren Studenten und irgendwie war bei allen Vorlesungen, Seminararbeiten
und nächtlichen Hungerjobs immer jemand für mich da. Übergabeplatz Mensa, ich
erinnere mich noch heute an das alte Betongebäude, die Tabletts und Gerüche. Diese
und viele andere Erinnerungen sind mit meinem Vater verknüpft. Radfahren
lernen, Nüsse sammeln, im Wald Bäume ausreißen, Unfälle mit dem Rad und dem
Schlitten, mit der Gitarre Lieder singen, die nicht ganz Kind-geeignet sind,
die ich aber bis heute auswendig kann. Noch jetzt ist er für mich
Ansprechpartner und Lebensberater. Er ist aufbrausend, laut und einfühlsam, und
er wird mir immer ein Wegbegleiter sein.
Selbst Eltern werden ist nach wie vor leicht und geht recht schnell.
Eltern sein in einer von Dauerstress und Leistungsdruck geprägten Welt dagegen,
ist ein wirrer Cocktail aus Hingabe,
Müdigkeit, Liebe, Aufopferung, Vorwürfen und ein ständiges
„Sich-Zusammenraufen“. Alles ändert sich, nichts bleibt, und wenn man sich
nicht sehr bemüht, geht auch viel kaputt, denn der Arbeitsalltag und das von
Geburt an plötzlich ablaufende Basis-Programm „Mama“ ist oft für die Beziehung
schwer tragbar und der Papa steht im Regen.
„Muss Papa
arbeiten?“ fragt die Große oft, wenn ich sie morgens wecke und Papa schon weg
ist. Ja, meistens muss er das tatsächlich, aber er kämpft seine Kämpfe und das
Arbeiten hat für ihn immer weniger Stellenwert. Klar, Geld verdienen, aber eben
arbeiten, um zu leben, nicht leben, um zu arbeiten. Theoretisch. Denn
Arbeitszeiten von 7 bis 7 oder Schichtarbeit belasten und stehlen Zeit wie die
grauen Männer mit den Zigarren in Michael Endes Geschichte Momo. Gefallen tut
ihm das so wenig wie mir. Er will da sein, doch kürzer treten ist für Väter eben
oft nicht im Angebot.
Neulich
abends musste Papa nochmal los für eine Besprechung. Gefühlt stand der graue
Mann rauchend vor der Tür, grinste und
nahm uns einen weiteren Abend, der ihm nicht gehörte. Die Große, die inzwischen
auch sehr bewusst alles mitbekommt, zog Papa zu sich in die Hocke, umarmte ihn
und sagte leise: „Ich vermisse dich.“ Schon wieder habe ich Tränen in den Augen
und wünsche mir eine väter- und familienfreundliche Welt, in der ich dem grauen
Mann seine Zigarre quer ins Maul stopfen darf.
Väter, lasst
euch die Zeit nicht stehlen. Ihr habt einmal im Leben die Möglichkeit eure
Kinder aufwachsen zu sehen, und die steht euch zu. Das sagt zumindest mein
Papa, und ich finde, er hat Recht.
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