Der Spiegel meiner Seele....
Meine Kinder
sind der Spiegel meiner Seele. Klingt erstmal schön, ist aber verhängnisvoll.
Geht es mir gut, geht es allen gut. Aber wenn ich Stress habe oder mir auch nur
ein Furz quer liegt, dann kriege ich von zwei kleinen Monstern den Spiegel
vorgehalten und sehe meine eigene gruselige Fratze. Gerade ist Weihnachten
durch und die meisten von uns tragen eine riesige Frikadelle mit sich herum,
die ihnen von der mehr oder minder wohlgesonnenen Großfamilie ans Ohr
gequatscht wurde. Der größte Feind der jungen Mutter ist nämlich nicht das
medizinische Halbwissen aus dem Internet, nein es ist der gutgemeinte Rat der
Sippschaft. Hier greife ich den Spiegel wieder auf, denn wie kann man selbst
ruhig und besonnen bleiben, wenn einem über die Feiertage Hinz und Kunz und
Tante Gerte mit gerunzelter Stirn über die Schulter schaut und das Verhalten
der Brut kommentiert? Ich pfeife die Große gefühlt im 20-Sekunden-Takt von
irgendwas zurück, versuche zwischen den Cousins zu schlichten, rette zweimal
den Adventskranz und einige Teetassen. Der Kleinen wird es schnell zu viel, sie
jammert, will auf den Arm, ich höre: Auweja, du verwöhnst die aber! Ich weiß,
Tante Trude, euch hat man damals im Krieg noch die Hosen stramm gezogen, wenn
ihr geweint habt. Nur so konnte was aus euch werden. Aber die Amerikaner sind
ja zum Glück inzwischen abgezogen und die Russen haben eigene Probleme. Damit
habe ich natürlich bei der Generation 70+ ein Fass aufgemacht, aber es lenkt
nur kurzzeitig von den krakeelenden Kindern ab. Es wird in Erinnerungen
geschwelgt, weiterhin gemaßregelt und kommentiert und mir wird immer
schlechter.
Die Große
hat die Gunst der Stunde ergriffen, die Plätzchen und Lebkuchen tun ihre
bezaubernde Wirkung und sie wälzt sich kreischend vor dem Tannenbaum und haut
sich mit den Worten „Ach ich Dummi, ach ich Dummi“ an die Stirn, nachdem sie
drei ganze male das PopopopoArsch-Lied gesungen hat. Auch später beim Essen
wird es nur unwesentlich leiser, denn wir haben viele kleine Cousins, die sich
gegenseitig aneinander hochschaukeln können, bis der Apfelsaft aus der Nase läuft.
Das hätte es natürlich damals nicht gegeben, da war Ruhe am Tisch. Ja, und es
gab auch keinen Apfelsaft pur oder pro Kopf zwei Schokopudding, dass den Minis
inzwischen schon die Pupillen weit werden. Leider meinen die lieben Tanten es
auch beim Essen sehr gut mit den Kindern und hören kaum auf, ihnen Schokobons
in den Rachen zu stopfen, während ich mich gefälligst zu schämen habe und meine
Kinder nicht in den Griff kriege. Früher war um 7 Zapfenstreich. Aus Gründen
der Überzuckerung heute wohl nicht. Inzwischen tut mir der Magen weh,
Popopopo-Arsch-Lied geht weiter, ich versuche mich zurückzuziehen, die Kleine
zu stillen und etwas runter zu kommen. Puh! Du STILLST? Habt ihr kein Geld für
die richtige Milch? Kind, du bist so sparsam, das arme Kleine! Wie soll das bei
dem dünnen Zeug gedeihen? Klar, dass die noch nicht läuft! Damals, mit
Schmelzflocken, da sind sie alle mit einem Jahr gelaufen! ALLE! Ich verzichte
dankend auf den Kaffee und verstecke mich im Nebenraum, wo ich versuche, mir
Antworten zurechtzulegen, die niemandem zu sehr die Feiertage ruinieren. Ich
bin der Spiegel meiner Kinder und wenn ich innerlich am Rad drehe, dann kann es
nichts mehr werden mit dem gesegneten Abend und der stillen Nacht. Kurzer Blick
in den tatsächlichen Spiegel, kein Monster zu sehen. Etwas blass bin ich
vielleicht. In der Stube ist es ruhiger geworden. Die Armee der Zucker-Minis hat
sich um den Sessel versammelt, Oma liest vor. „Leise, Mama!“ zischt die Große
und kuschelt sich an mich. Draußen dämpft der Schnee die Geräusche und mein
Magen beruhigt sich langsam.
In diesem
Sinne, ein gutes neues Jahr!
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