Beruhigungsmittel, ADHS, Recherche für einen neuen Artikel und nerv mich nicht!

Mir fiel gerade auf, dass die Blog-Überschrift "Babys und Beruhigungsmittel" durchaus auch anders verstanden werden kann, als ich es mir dachte.
Nur damit keine Missverständnisse auftreten: Ich selbst denke gelegentlich daran, dass ich ein Beruhigungsmittel brauchen könnte, wenn Madame wieder einen ihrer Schreikrämpfe hat, wir jeden Abend den gleichen Kampf haben, wenn sie ins Bett soll, oder wenn sie auf beim Überqueren der Straße mal wieder stehen bleibt, meine Hand loslässt und mich anschreit. Ich möchte dann ein Mittelchen, Mommys little helpers, aber ich würde mir nie wünschen, Madame medikamentös ruhigstellen zu können.

Gerade bin ich ein wenig sensibel auf das Thema, ich recherchiere für einen Artikel über ADHS und Burnout.
Das Problem ist, ich bin befangen, denn in meinen Augen ist ADHS genauso eine Modediagnose, wie es auch der Burnout ist. Ich bezweifle damit keinesfalls, dass es Menschen gibt, die schwer unter ihren Symptomen leiden und dass Familien an Depressionen der Eltern und durchdrehenden Kinder zerbrechen können. Aber ich bezweifle die klinische Seite der Erkrankung. Es gibt keine Studie (zumindest meines Wissens nach), die tatsächlich nachweisen konnte, dass bei ADHS-Kindern eine Störung des chemischen Gleichgewichtes im Hirn auftritt. Genauso wenig ist das Hirn dieser Kinder nachweisbar anders als das anderer Kinder – es sei denn die Behandlung mit den verschriebenen Psychopharmaka hat bereits zu einer sogenannten Hirnatropie, also einer Verkleinerung des Gehirns, geführt, was sie im Falle von ADHS Medikamenten und anderen Psychopharmaka leider tut.
Aber seien wir mal ehrlich: Botenstoffe ändern sich natürlich! Sie ändern sich jeden Tag, zu jeder Stunde, denn sie unterscheiden sich, wenn wir konzentriert sind von den Zusammensetzungen in entspannten Zustand, sie ändern sich hormonell bedingt, wenn wir Sorgen haben, erschrecken oder wenn wir einfach nur einmal einen schönen Abend hatten und einige Stunden befreit lachen konnten.
Das tun sie aber bei allen Menschen und das ist völlig normal. Die Botenstoff-Zusammensetzung, die das Etikett ADHS tragen sollte, gibt es aber nicht.
Und auch der Vergleich, die Kinder bräuchten Medikamente wie ein Diabetiker sein Insulin, hinken etwas, denn Diabetes Mellitus ist eine diagnostisch eindeutig nachweisbare Krankheit, bei der die Bauchspeicheldrüse nach und nach die Insulinproduktion (die ja für die Verdauung und Einlagerung von Kohlenhydraten nach der Mahlzeit unerlässlich ist) einstellt. Darum wird Insulin verabreicht und ich finde es ehrlich gesagt ein wenig unehrlich, einem besorgten Patienten mit Konzentrationsproblemen oder Impulsivem Verhalten die Lüge aufzutischen, sein Körper brauche eine Droge, um wieder normal zu funktionieren. So wenig wie Kopfschmerzen auf einen Mangel an Aspirin hinweisen, so wenig weisen die Symptome mancher Menschen auf einen Mangel an Ritalin hin.

Ich möchte niemandem zu nahe treten, das liegt mir auch in Bezug auf meinen Artikel fern, doch ich tue mir tatsächlich schwer. Im Bekanntenkreis lege ich mich regelmäßig mit Menschen an, seien es nun Pädagogen (irgendwie sind fast alle meine Tanten und auch einige Freunde Pädagogen),  studierte Psychologen oder einfach nur Besserwisser. Ich wehre mich dann gegen den Stempel, der Kindern aufgedrückt wird, wenn sie nicht so funktionieren, wie wir es uns vielleicht wünschen würden. Unser Leben, unser aller Leben und Alltag, ist anstrengend und geprägt von dauerndem Streß und Anforderung. Vielleicht zu einem Großteil nicht mehr auf den Feldern, aber doch nicht minder belastend: Im Kopf. Es gibt kaum Rückzug, kaum Ruhe, ich bekomme mails von Kollegen auf der Toilette, ich betreue noch weitere Blogs, habe ein Kind, dem ich meine ganze Aufmerksamkeit schenken möchte, einen Mann, den ich scheinbar manchmal tatsächlich im Regen stehen lasse, bin als Freiberufler eigentlich auch unter Dauerstrom für Recherche und neue Ideen und gleichzeitig möchte ich auch noch ich sein, wobei ich das Gefühl habe, dass es mich, also das ICH, das noch vor 10 Jahren da war, einfach verschwunden ist in diesem Wust aus Verantwortung, Druck, eigenem und fremdem, und den Anforderungen, es irgendwie immer allen Recht machen zu wollen.

Diagnoseverfahren….
Es gibt verschiedene Tests, um ADHS zu diagnostizieren. Abfragen, Beurteilungslisten. Sie diagnostizieren aber nicht eine klar definierte Krankheit, sondern lediglich Symptome. Und ab einer gewissen Anzahl an Symptomen oder Auffälligkeiten, hat man dann genügend Punkte gesammelt für das Etikett.
Glückwunsch, auch ich habe bestanden! Zwar bin ich eigentlich ausgeglichen, kann mich auch gut konzentrieren (zwar nicht auf 5 Dinge gleichzeitig, aber auf eine oder zwei), bin eigentlich völlig normal im Kopf und kriege meine Arbeiten, wenn nicht gerade das Kind tobt, auch wirklich gut auf die Reihe. "Diagnostisch" gesehen, gehöre ich jedoch der wachsenden Zahl Erwachsener an, die unter einem Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätssyndrom leiden.
Hm... bezeichnend ist doch eigentlich  - wissenschaftlich gesehen - schon allein dieser Name. Es ist ein Syndrom, also ein Bündel von Symptomen. Unterschiedlichsten Symptomen, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark auftreten.
Denke ich zurück an meine eigene Schulzeit, so muss ich wohl damals schon das Syndrom gehabt haben, denn ich gebe zu, Mathe habe ich selten gerafft, und wenn die Stunden lang und langweilig wurden, habe ich aus dem Fenster geglotzt und geträumt. Ich habe unter der Bank gelesen, auf Hefträndern gekritzelt und mit den Füßen gezappelt, weil ich endlich wollte, dass es klingelt.
Aufmüpfig und sozial unverträglich war ich auch lange Zeit. Kurze grüne Haare, Zigarette hinter dem Ohr, ein Krümel Hasch in der Socke im Notreservoir. Dazu ein Religionslehrer, der immer darauf bestand, das letzte Wort zu haben und den ich zur Weißglut bringen konnte, weil ich immer wieder sagte "ist ja gut, ich bin ja still" und er immer wieder darauf antworten musste, bis ihm schier der Kopf platzte.
Noch heute lenkt Lärm mich ab, ich kann schwer arbeiten, wenn Musik läuft. Und wenn etwas Interessanteres passiert als das, was ich gerade tue, dann stehe ich gern auf und sehe nach.
Ist das tatsächlich krank?
Und noch dazu: Ich habe durch viele Jahre Schule und Uni gelernt, dass ich auf meinem Hintern sitzen kann. Ich kann das lange und ich kann auch Dinge tun, die ich sinnfrei finde, einfach weil sie getan werden müssen.
Aber warum übertragen wir das auf Kinder? Warum maßen wir uns an, ein Fünfjähriger müsste schon so und so lange still sitzen und sich mit etwas beschäftigen, das wir für ihn herausgesucht und als pädagogisch wertvoll bewertet haben? Gäben wir ihm ein Stöckchen und schickten ihn mit dem Auftrag in den Garten, die bösen Heckenpiraten zu verkloppen, käme er frühestens nach 20 Minuten strahlend, durstig und mit Kriegsgebrüll wieder herein....

Schule als Problemfaktor….
Ich habe keine allzu hohe Meinung von Lehrern und habe selbst Studienabbrecher  erlebt, die keinen Funken Verstand hatten, aber nichtsdestotrotz nach einem vergeigten Bio-Vordiplom bei den Ökotrophologen dann eben Biologielehrer wurden. Mädchen, die den Beruf wegen der Ferien machen, die sich denken, Deutsch kann ich ja eh, dann mach ich halt noch Kunst oder Geschichte, weil ich den DaVinci-Code so spannend fand oder Bio, weil ich kleine Katzen voll süß finde. Und mit überdrehten, impulsiven oder unkonzentrierten Kindern arbeitet es sich natürlich schwer nach Schema F. Schwierig wird es, wenn der Psychologe dann eben diese verzweifelten Pädagogen zum Verhalten der Kinder befragt, die dann die ebenso verzweifelten Eltern darin bestätigen, wie ausgesprochen impulsiv und defizitär das Kind ist. Problem gelöst, Verantwortung abgegeben, Pille rein und gut ist. Hui!
Mir kommt die Galle hoch, wenn ich mir vorstelle, dass so ein Huhn mir eines Tages gegenüber sitzt und denkt, sie muss mein Kind beurteilen.
Schule macht keinen Sinn, zumindest für ein Kind. Nicht falsch verstehen, es ist ja sinnvoll, dass wir etwas lernen, sinnvoll und lebenswichtig. Aber die Unterrichtsform und die langen Tage, die Anforderungen, Stress schon ab der Vorschule... Muss das sein?
Und dann noch mein zweites liebstes Brechreiz-Thema: Die Frühkindliche Förderung.
Als ich neulich im Kindergarten gefragt wurde, was ich mir wünschen würde für mein Kind und was ich nicht so gerne hätte, habe ich der freundlichen Frau gesagt: "Ich möchte, dass mein Kind viel spielen kann, Spaß hat und glücklich ist. Am besten soll sie viel draußen sein und ich möchte Sie bitten, sie so wenig wie möglich früh zu fördern."
Die Frau hatte Humor und hat gelacht, hat mir aber auch versprochen, dass sie nichts anderes vorhätten. Wir werden sehen, denn mir ist es bitterernst damit!
Warum wundern sich eigentlich alle über gelangweilte Kinder in der Grundschule? Nun, was soll man auch noch lernen in den ersten vier Jahren, wenn man lesen, schreiben und die Grundrechenarten nebst Englisch schon in der Kindergartengruppe gelernt haben muss? Ist das ein Vorsprung? Nein! Das ist einfach nur vertane Zeit, die dann wieder Lehrerinnen und Müttern die Möglichkeit eröffnet, ihr Kind als hochbegabt und Aufmerksamkeitskrank einstufen zu lassen. Natürlich drehen die Kinder gelangweilt Däumchen und werden auffällig, ihr biologisches Programm sagt ihnen: Hier gibt‘s nichts neues, was finden wir neues? Und verdammt nochmal, warum rennen wir nicht draußen rum bei dem Wetter?
Stattdessen müssen sie zuhause wieder hinsitzen, den Mund halten, lernen oder zu Spieltherapie und zum Psychologen, weil sie nicht in das gewünschte Schema passen.
Als Mutter kenne ich diesen Druck, als Kind erinnere ich mich an die Langeweile. Es macht einfach keinen Sinn, dazusitzen und das Arbeitsblatt zu bearbeiten, das mich nicht interessiert. Und als Mutter bekomme ich gesagt, mein Kind sollte eigentlich inzwischen Formen ausmalen, tut es aber nicht. Es malt Kringel. Schöne bunte Kringel. Kunstvoll mit Wachsmalstiften, mit Wasserfarben oder auch Kugelschreiber. Soll ich ihr das verbieten?

Man müsste, könnte, sollte, es ist wirklich nicht leicht.
Und wie verdammt nochmal soll ich einen Artikel  zu so einem kontroversen Thema schreiben? Am besten, indem ich auf meine eigene Meinung verzichte. Ich suche mir Experten und trinke vorher einen Melisse-Hopfen-Tee, damit ich niemandem an die Gurgel gehe....

Leider muss ich aufhören und weiterarbeiten, gleich ist schon wieder Mäusezeit.
Morgen werde ich versuchen, noch über ein sehr spannendes Phänomen zu berichten, das den Weg in unser Wohnzimmer gefunden hat: Ich nenne es die "Binge-Playing-Disorder"
Klingst spannend oder? Und ist immerhin auch schonmal ein hübsches neues Etikett.

Ach ja, weil es so schön ist:
http://www.einsatzfuerkinder.de/diagnosemasche/umdefiniertes-kindliches-verhalten.html
bitte mal reinschauen, die Diagnosekriterien sind toll! Sie beschreiben ein Kind, meiner Meinung nach ein ganz normales Kind.


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