Leben mit dem Lob




Ich bin kein Freund der alten Schule mit Prügeln und Drohungen, aber manchmal frage ich mich, was wir gerade für eine Entwicklung durchmachen. Statt den Kurzen aufs Dach zu geben, wenn’s mal nicht rund läuft, neigen wir überfürsorglichen Eltern nämlich dazu, zu loben, was das Zeug hält, ob es nun etwas gibt oder auch nicht. Und wie bei allem, was inflationär benutzt wird, verliert es damit in meinen Augen an Wert. Selbstvertrauen stärken, ja, aber müssen die Kinder nicht auch lernen, mal ein wenig Frust auszuhalten und kritikfähig zu werden? Ein kleines Beispiel: Das Kind ist vier. Ich erwarte daher, dass es sich beim Basteln weder die Finger mit der Schere abschneidet, noch das eigene Gesicht auf das Papier klebt oder einen Wachsmalstift isst. Ist ein Kunstwerk wirklich gelungen, das bedeutet, ich erkenne auch ohne zu viele phantasievolle Erklärungen einen Baum, ein Männchen oder eine Spinne, dann lobe ich. Und ich sage ihr auch ehrlich, dass ich es toll finde, wie sie inzwischen die Gurken für den Salat schneiden kann. Natürlich würde ich ihr nie sagen, dass ich etwas selbst gemachtes nicht schön finde, an dem sie minutenlang fleißig saß. Aber genauso wenig möchte ich unehrlich und unglaubwürdig werden. Meine Devise: Loben wenn’s wahr ist, ansonsten ist Schweigen Gold. Leider fordert das Kind inzwischen wahre Lobeshymnen von mir ein und zwar nicht, weil sie einen Fisch filetiert, das Rad neu erfunden oder den 2000-Teile-Globus korrekt zusammengebaut hat, sondern weil sie sich einen Popel aus der Nase geholt hat.
Lob ist Segen und Fluch gleichzeitig geworden. Denn auf der einen Seite will man es ernst meinen und es ist tatsächlich verdient, auf der anderen Seite mache ich mir Sorgen, ob mein Kind vielleicht eines Tages ohne Blumenteppich, Goldsterne im Voraus und ein Leckerli morgens überhaupt noch aufstehen wird. Wie wird das erst in der Schule, wie in ihrem weiteren Leben? Keiner in der Redaktion tanzt vor Freude, wenn ich meine Texte abgebe und auch das Finanzamt schickt mir keinen Glitzerbrief, nur weil ich meine Steuererklärung einreiche. Wie vermittele ich meinem Kind, dass es große Klasse ist, ich aber nicht jeden Tag in Begeisterung ausbrechen kann, wenn es seine Socken anzieht? Ein schmaler Grad, vielleicht sprechen wir uns in 10 Jahren wieder, wenn meine Prinzessin mit ihrem verkorksten Diktat auf einer rosa Wolke sitzt und mich anschreit: „Du sollst aber sagen, dass ich superschlau und superschön bin!“



Richtig loben, wie geht das? FRIZZ hat sich mit dieser Frage an Jürgen Matlé gewandt, der bereits seit einigen Jahren im Rahmen der MonteBaRo-Elternschule Erziehungswissen vermittelt und in Seminaren Eltern bei Erziehungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten berät.

Herr Matlé, wie wichtig ist Lob und wie lobe ich ein Kind richtig?
Vielleicht indem Sie Ihrem Kind zurufen: „Wow, ich bewundere Deine Fähigkeit, Dir eine rosa Wolke zu greifen und auf ihr zu reiten!“ Spaß beiseite: Lob ist in der Tat wichtig, man kann sagen lebenswichtig. Nicht nur für Kinder: Lob und Anerkennung braucht jeder Mensch! Gleichwohl muss man sich bewusst sein, dass Lob immer auch einen manipulativen Anteil hat. Hofft der Lobende doch, egal ob Elternteil oder Vorgesetzter, auf Steigerung der Anstrengungsbereitschaft beim Gelobten.
Der Mensch braucht zur gesunden Entwicklung positive Bilder, positive Stimmungen, das Gefühl des akzeptiert Seins. Die moderne Hirnforschung bestätigt, dass besonders beim Lernen positive Verstärkung besonders wichtig ist.

Welche Möglichkeiten haben Eltern, das Selbstbewusstsein ihrer Kinder zu stärken, ohne in die Dauer-Lob-Schleife zu geraten? 
Nun, Möglichkeiten gibt es viele, an erster Stelle steht die liebevolle wertschätzende Zuwendung, gerade auch wenn das Kind „Fehler“ gemacht hat. Aber seien wir ehrlich: Haben wir Erwachsenen nicht häufig gerade aus unseren eigenen Fehlern mehr gelernt als durch Belehrungen?
Und ein „Lob-Schleife“ muss ich gestehen habe ich persönlich noch nicht erlebt; sehr wohl und das häufig das Ausbleiben eines anerkennenden Wortes.
Loben spornt an, stärkt das Selbstvertrauen, fördert die Zuversicht. Voraussetzung ist allerdings, dass das Lob ehrlich gemeint ist, und möglichst unmittelbar erfolgt, dass nicht nur das Endergebnis, sondern das Bemühen darum im Vordergrund steht, dass das Lob nicht nach dem Motte erfolgt: „Es war ganz gut, es hätte aber besser sein können…“.
Als weitere Hilfe zur Entwicklung der Fähigkeit zur Selbsteinschätzung kann man mit zunehmendem Alter des Kindes vor das Lob die Frage ans Kind stellen, ob und wie es mit seiner eigenen Leistung zufrieden ist.

Was geht in Kindern vor und was bedeutet es für ihre Entwicklung, wenn übertrieben gelobt wird?
Übertreiben ist immer gefährlich! Beim Lob klingt das für mich nach unehrlich, Aufmerksamkeit heischend, mit hohem egoistischem Anteil des Lobenden, „Lobhudelei“! Kinder nehmen das sehr wohl wahr und werden daraus keine positive Energie für ihre eigene Entwicklung gewinnen, sondern Verwirrung, Verunsicherung. Wie oben schon gesagt, empfehlenswert sozusagen als Maßnahme gegen übertriebenes Loben ist das wertschätzende Anerkennen des Bemühens.
Also liebe Lobende, nehmen Sie sich selbst aus dem Lob heraus, loben Sie das Gelungene, loben Sie realistisch, konkret, beschreibend, ohne zu urteilen! Diese lässt sich übrigens leichter bewältigen, wenn Eltern sich auch trauen, konkrete Strukturen zu schaffen, Forderungen zu stellen, selbst als Vorbilder konsequent leben und handeln.




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