Das Wackelzahn-Pubertier ...

... oder auch: Karma-Scheiße, Mama ist reif für eine Delphin-Therapie.

So sieht's aus. Ich habe tatsächlich seit einigen Wochen (vielleicht auch schon seit Monaten, das scheint ein schleichender Prozess zu sein), ein Wackelzahn-Pubertier zwischen himmelhochjauchzend und zu Toden betrübt in meinem Haus.
Und um ganz ehrlich zu sein, ich fühle mich gerade mental so erschöpft wie noch nie zuvor. Es ist anstrengend, um es gelinde auszudrücken. Wahrscheinlich rollen gerade alle Eltern von tatsächlich Pubertierenden die Augen und denken "wart's mal ab, was da noch kommt!", genauso wie Eltern eines Zweijährigen die verzweifelten Sklaven eines Zweimonatigen innerlich auslachen, wenn sie vollkommen am Ende ihrer Ressourcen sind, obwohl das Kind noch fast 20 Stunden am Tag schläft. Hören wir doch zuallererst einmal auf, gehässig zu sein, auch wenn es manchmal gut tut, sich besser zu fühlen als andere. Es sind alles Phasen, wir haben sie irgendwann alle durch, im Endeffekt überwiegen wahrscheinlich auch die guten Zeiten.
Obwohl, ich habe inzwischen das Gefühl, das ist in etwa dasselbe wie mit der Geburt: Man vergisst es einfach, zumindest zum Teil. Man vergisst/verdrängt die durchwachten Nächte mit den ersten Zähnen, zweimal im Jahr die Kotzeritis, die vielen Erkältungen und Fieber, die Trotzanfälle um falsche Becherfarben und schief geschnittenes Frühstücksbrot. Das tritt irgendwie in den Hintergrund, denn ansonsten würden wir wohl alle konstant in einer Ecke hocken und vor- und zurückwippen mit wirrer Frisur, Wahnsinn im Blick und einem Speichelfaden bis auf den Hosenbund.

Was ich derzeit nicht verdrängen kann, ist der gestrige Tag und er beraubt mich selbst im Nachhinein noch jeglicher Energie. Ich kann nicht glauben, dass ich gleich eines meiner Manuskripte aufmachen und kreativ sein soll. Ich bin wie gelähmt im Kopf. Und das nur, weil mein zahnlückiges kleines Pubertier es gestern mal wieder hat krachen lassen.
Ich möchte mich an dieser Stelle zum wiederholten Male bei meinen eigenen Eltern entschuldigen. Inzwischen weiß ich, meine Kinder, das muss Karma sein. Jeder von uns bekommt mit Zinsen das zurück, was er selbst verbrochen hat. Und ich war ein ätzendes Kind. Und ein noch ätzender Jugendlicher. Daher stelle ich mich für die nächsten 15 Jahre noch auf eine riesige Tonne Karma-Scheiße ein. Nichtsdestotrotz und obwohl ich mich mental darauf einstelle, ist es anstrengend, denn ich versuche, dass mir nicht die Hand ausrutscht. Auch wenn gestern vor meinen Augen ein Film ablief, in dem ich das Kind gepackt, geschüttelt und verhauen habe, dass ihm Hören und Sehen vergeht, ich habe es geschafft, es nicht zu tun. Weiß der Himmel, woher diese Selbstbeherrschung kam.

Drei Punkte haben gestern dazu geführt, dass das Mini-Pubertier ausrasten musste.

1. Mama musste einen Termin am Telefon vereinbaren, obwohl der Teddy ins Wasser der Katze gefallen war

2. Mama wollte nicht extra nach oben unters Dach kommen, um sich bei der Katze zu verabschieden, weil wir kurz in die Stadt wollten

3. Ich habe gesagt, sie sollen aufhören, auf dem Bett zu hüpfen, aber die Kleine hat nicht aufgehört und dann musste die Große hart durchgreifen mit dem Ergebnis, dass die Kleine schreiend und mit blutender Nase auf dem Boden lag.



Punkt 1, ganz klar, Mama, was fällt dir ein, was Arbeiten zu wollen, obwohl wir heute daheim sind? Wir sind der Mittelpunkt des Universums und ich schreie so lange, bis du den Teddy abtrocknest, auch wenn du dann deinen Gesprächspartner nicht hörst.

Punkt 2, ja. Insgesamt haben wir eine Stunde damit verbracht, dass sie mit immer neuen Ideen und tränenreich versucht hat, mich dazu zu bewegen, eben nicht meine Schuhe anzuziehen, sondern mich von der Katze zu verabschieden. NEIN, ICH MÖCHTE NICHT, das gilt nicht. Nur das, was sie gerade WILL und sie will eben, dass ich mich von der Katze verabschiede, wenn ich das Haus verlasse. Die Katze ist übrigens jung und gesund und liegt nicht etwa im Sterben. Trotzdem kann man schreiend und trampelnd auf der Treppe und auf dem Boden liegen und vollkommen aufgelöst sein. Ich kenne nur leider mein Kind und muss auf das NEIN beharren, wenn ich es einmal ausgesprochen habe. Denn wenn ich nur einmal nachgeben, dann werde ich mich demnächst von der Katze, den Kuscheltieren, dem Hausgeist und jedem Pixi-Buch verabschieden, Odin ein Opfer bringen und dreimal eine rote Kerze ausblasen, also NEIN.

Punkt 3. Die missverstandene und missbrauchte Exekutivmacht. Die Große denkt leider, dass sie dazu berufen ist, meine Anordnungen mit Feuer und Schwert durchzusetzen. Bedeutet, wenn ich sage, seid bitte kurz leise, ich bin am Telefon, haut sie der Kleinen auf die Fresse, wenn sie piep macht. Oder sie unterbindet eben, wie gestern Abend passiert, das Hüpfen, indem sie Mini packte und an den Ellenbogen festhält. Mini kämpft sich natürlich frei und fällt dann ungebremst auf das Gesicht, da jeglicher Schutzreflex in den Händen der Schwester festgekrallt ist.


Für Punkt eins habe ich geschimpft, für Punkt zwei versucht, zu beruhigen und zu erklären. Da Punkt drei um halb acht abends stattfand, die Kleine geblutet hat wie Sau und ich inzwischen so durch war, dass ich gerne jemanden gehauen hätte, brauchte es sehr viel tiefes Atmen, dass mir nicht die Hutschnur gerissen ist. Ich bin ziemlich stolz, dass ich es geschafft habe, ihr zu erklären, was ein Schutzreflex ist, dass es nicht ihre Aufgabe sein darf, meine Anordnungen mit Gewalt durchzusetzen, wenn ich das schon selbst nicht tue, und dass sie einfach aus dem Zimmer gehen soll, wenn die Kleine nicht hört und Blödsinn macht.

Aber ich bin trotzdem ziemlich hilflos. Wenn das Tantrum durch ist, beruhigt sie sich und entschuldigt sich sogar bei mir. Es ist wie ein Dämon, der in sie fährt und sich ihrer für 20 bis 60 Minuten bemächtigt und danach habe ich mein Kind wieder und es schnieft und will getröstet werden. Und dann nehme ich - gerade ich, der nachtragendste Mensch auf dem Planeten -  sie auf den Arm und sage ihr immer wieder, dass alles gut ist. Weil man nichts anderes tun kann. Weil ich ja weiß, wie sie sich fühlt. Weil ich mich erinnern kann, wie sich dieser Dämon anfühlt.

Aber es kostet mich so unfassbar viel Kraft, dass ich hier und jetzt an meinem Schreibtisch einschlafen könnte, ohne auch nur ein Manuskript geöffnet zu haben.
Ich wünsche allen Eltern da draußen eine riesige Portion Geduld. Egal, wie alt die Mäuse sind, ob 1 oder 11 oder 21, haltet durch. Am Ende werden die guten Zeiten überwiegen, zumindest in eurer Erinnerung.




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