Neues vom Baum der Erkenntnis



Erziehung ist ein heikles Thema und um die Wahrheit zu sagen, man wird via Sonnenblümchen- oder Hardliner-Elternratgeber, Facebook und Erziehung-online-Endlosschleife.de doch eher zugemüllt mit den groteskesten Sichtweisen, als dass einem geholfen wird. Den heiligen Gral der Erziehung, der Baum der Erkenntnis, das perfekt funktionierende Familienglück oder auch nur ein ganz normaler Tag ohne Ausraster mit Kindern zwischen einem und etwa sieben Jahren, den gibt es nämlich nicht. Oder nur in unserer Erinnerung an unsere eigene Kindheit, in der es doch eigentlich die meiste Zeit über ganz rund lief und auch recht rosarot war, erinnern Sie sich?
Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin in den letzten Monaten um 20 Jahre gealtert. Es ist anstrengend, dauernd zu erklären, zu schimpfen, auf die Einhaltung der Regeln oder – wie ich inzwischen sage – die Wahrung der Rules of Engagement zu pochen. Denn Kinder haben einfach selten die Güte, darauf Rücksicht zu nehmen, dass man auch selbst manchmal müde, hungrig oder überfordert ist. Ein kleiner Ausflug in die Stadt führte bei uns kurz vor Weihnachten dazu, dass ich an meine Notration Pantozol in der Wickeltasche musste, denn ansonsten wäre mir wohl der Magen übergekocht.
Eigentlich war der Plan ganz einfach, die Große liebt Pläne und wir hatten diesen schon nach dem Aufwachen geschmiedet, ihn beim Frühstuck umgemodelt, im Auto unter Tränen korrigiert und eigentlich hatte ich das Gefühl, dass alle Kleinen zufrieden waren, als ich schließlich in der Stadt den Kinderwagen aufbaute. Folgende Schritte lagen vor uns: Einen Donut kaufen, mit Papa und Opa treffen, Mittagessen (Nudeln für uns, natürlich Donut für die Große), dann kurz zur Apotheke, zur Post, in den Spielwarenladen, Schokobanane. Zusatzoption: Quickshoping in Wetzlar. Er klang durchdacht, unser Plan. Es stellte sich aber heraus, dass wegen Überzuckerung durch Donut und darauf folgend Bauchweh und völlige Überdrehtheit mal wieder alles für den Eimer war. Die Apotheke war zu voll, in der Post dauerte es zu lang, bei den Spielsachen zu kurz. Ich war mal wieder chancenlos und trieb das nörgelnde Kind über den Weihnachtsmarkt Richtung Auto zurück. Ein schriller Aufschrei auf Höhe der Plockstraße, ich habe es gewagt, den Balancier-Weg zu kreuzen, um einem anderen Kinderwagen auszuweichen, jetzt ist alles verloren, wir müssen zur Post zurück und nochmal von vorne laufen. Panikschweiß brennt unter meinen Achseln und ich versuche zu erklären, dass ich niemanden rammen darf, nur weil sie gerade balanciert. Natürlich stoße ich auf Unverständnis, gepaart mit blanker Wut für einen Tag, der nicht so lief, wie er hätte sollen. Es wird geschrien, getobt, demonstrativ von mir weggelaufen und getrampelt. Ich bleibe ruhig, erkläre erneut, ernte ein Kreischen. „Hase, das sind Befindlichkeiten!“ bricht es schließlich aus mir heraus und ich bräuchte die drei bärtigen Lehramtsstudenten nicht, die die Szene beobachten und spontan lauthals anfangen zu lachen, um zu merken, wie dämlich das klingt.
Jetzt habe ich drei Möglichkeiten:
1 – verführerisch – kräftig eine aufs Dach geben.
2 – das Übliche - weiterlabern und irgendwie beschwichtigen.
Ich entscheide mich für 3, denn das arme Kind ist in der Tat inzwischen völlig außer sich. Ich drehe den Kinderwagen um, hebe die Große mit einiger Mühe hoch und wir setzen uns auf eine Bank. Dort bleiben wir und kuscheln. Einfach so. Das Weinen lässt nach, irgendwann wehrt sie sich auch nicht mehr dagegen, gehalten zu werden. Baby guckt Lichter, wir beobachten, wie die Nacht aufzieht und wie viele Leute über die am Boden verlegten Kabel stolpern. Nach einer halben Stunde sind wir fertig. Wir machen aus, dass wir die blöde Laune auf der Bank lassen. Ganz allein. Wir strecken die Zunge raus, zeigen ihr den Popo und lachen hämisch. Und dann gehen wir Pommes essen und ich habe bis zum nächsten Morgen das liebste Kind der Welt.

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