Meine 32 Persönlichkeiten an der Kindergartenpforte

Es gibt einen Ort, da fällt mir immer wieder besonders auf, dass ich regelrecht zum Chamäleon mutiere, je nachdem, mit wem ich mich unterhalte: Die Kindergartenpforte.

Es gibt Mütter, die sind so ruhig, freundlich und in sich ruhend, dass man nicht anders kann, als genauso sanft und liebevoll und zart-mürbe wie frisches Buttergebäck zu werden. Ja, Isabells Besuch neulich war wirklich sehr schön, die beiden haben so süß gespielt, es war ganz zauberhaft! Kaum verabschiedet sich die andere Mutter mit einem Lächeln und einem sanften Schulterdrücken, wandelt sich alles in mir um 180 Grad und ich wende mich dem nächsten Gespräch zu.
Chantals Mutter ist derzeit arbeitslos, eigentlich immer im Jogginganzug und etwa 10 Jahre jünger als ich. Bei Chantal zuhause wird trotz Baby und Krabbelkind in allen Räumen geraucht und irgendwie stinkt sogar hier die ganze Bude, wenn Chantal bei uns war. Nichtsdestotrotz kann ich die Mutter irgendwie gut leiden, vielleicht ist auch eine Portion Anteilnahme dabei, wenn ich ein bisschen mit ihr zusammenstehe und über das System und das Jugendamt schimpfe. Sobald sie wieder unterwegs ist und ich eigentlich die Kleine wegbringen sollte, steigt gehetzt die alleinerziehende Mutter von Henrick-Alexander aus ihrem schwarzen Mini-Van. Schon von weitem hebt sie die Hand und brüllt: "Frag nicht!" ein klarer Code für "Das muss ich direkt loswerden."
Sie packt Henrick-Alexander und schleift ihn über die Straße. "Unglaublich die Kirmes in diesem Jahr, oder? Das geht doch gar nicht!" sie bläst die Backen auf, ich stimme vorsichtig zu, bin mir noch unsicher, worauf sie hinauswill. Karusell, Schokobananen und blaue Fruchtgummi-Schnüre, ich fand's eigentlich Bombe.
"Wir waren ja gestern auf dem englischen Markt in Hutzenbutzelheim, das ist mal was. 18. Jahrhundert, echte Kostüme und die Musiiiik! Diese Buden hier, das ist doch unmöglich! Fressalien und lapidaaaarste Fahrgeschäfte! Genau wie der Weihnachtsmakrt, geht gaaaar nicht!"
Ich passe mich an, merke auf, dass es natürlich bei uns auf dem Land auch viel hübscher ist und früher eh alles besser war. Ich mag die Mutter von H-A, aber sie macht mir auch ein kleines bisschen Angst. Zum Glück kommt die Mama von Frieder und Klaus angerannt und winkt uns zu. H-A muss nach drinnen und ich kann mich einige Minuten darüber ergehen, wie schlecht sich Berentzen saurer Apfel kotzt. Dann will Frieder endlich rein, Klaus klettert bereits auf dem Zaun herum und ich warte noch kurz, weil Sybille mit Jerome und Annouk ankommen. Wir kennen uns ewig, auch privat und unterhalten uns im Vorbeigehen über die aktuellen Pläne des Elternbeirates und unseren Eindruck von der Vorstandssitzung vom Kindergartenverein. Wohlartikuliert und sehr eloquent.
Als ich wenig später auf der Arbeit am Schreibtisch sitze, frage ich mich, was ich wohl tun würde, wenn ich eines Tages durch Zufall mit allen gleichzeitig reden müsste....


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