Camouflage delüx
Ich tu mal so als ob heute…
Habe mich geschminkt, ordentlich
angezogen, sogar mit hohem Schuhwerk, und bin in die Stadt gestöckelt. Getarnt
im Fluss der arbeitenden Bevölkerung. Ein Chamäleon. Und trotzdem habe ich
irgendwie Angst. Wird jemand es durchschauen? Sehen, dass ich zwar den Laptop
dabei habe, aber eigentlich nicht ins Büro gehe? Dass ich mich in ein Cafe
setze und hektisch immer wieder umsehe. Ich tippe. Eigentlich arbeite ich ja tatsächlich, denn
ich bringe meine Gefühle, meine Sorgen und meine Ideen auf Papier. Ein
Notizbuch liegt neben mir, der Kaffee ist schon fast leer. Für heute habe ich
mir eine gemütliche Ecke im Schwätzer und Söhne in Gießen ausgesucht. Hipp, in, fairtrade
und bio.
Viele Muttis, die sich gegenseitig bei Rührei mit Kresse und frischen
Waldpilzen das Herz ausschütten. Und, wie ich heraushöre, ein schlechtes
Gewissen haben. Der Haushalt ist daheim, die Kinder in der Kita. Man bemüht
sich, sich etwas zu gönnen, den Wäscheberg zu vergessen und das unangenehme
Gefühl, dass man teuren Kaffee trinkt, obwohl man nur Teilzeit arbeitet.
Geht
das uns eigentlich allen so? Sind wir alle Camouflage delüx? Ich blicke mich
um, sehe eine Handvoll adrette Muttis und zwei alternative Studentinnen, die sich ihre
Zigaretten drehen und runde Brillen auf der Nase unter dem dicken Pony haben.
Obstsalat und Roastbeef auf Körner mit Ajoli. Eigentlich sollte ich das viel
öfter machen. Mich tarnen, hinsitzen und diese ganze Stimmung in mich
aufnehmen.
Gleich öffne ich mein Notizbuch und strukturiere einen alten Roman von
mir um, den ich noch nicht einmal fertig geschrieben habe. Vielleicht wird es
ja was. Ich habe kein W-Lan, keine Ausflüchte. Und ich bin gut versorgt, die
Theke wird gerade mit neuen belegten Broten delüx bestückt und mein Magen
knurrt.
An die Arbeit. Endlich mal nicht daheim am Küchentisch. Ohne Abräumen,
ohne Wäsche, ohne Staub. Dafür mit Vintage und gemütlichem Licht.
Das Leben ist schön, so Camouflage delüx.
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