Von Keipenkindern und Wirtshausverwüstung
Dass die Dinge hin und wieder fliegen, ist in diesem Heft
nachzulesen und den meisten Eltern
bekannt. Neben den spontanen Ausrastern gibt es aber noch etwas, das
fast genauso schlimm ist: Die schleichende Langeweile im Restaurant, gepaart
mit dem Versuch, zwei Dinge zu erforschen: a) gelten die Regeln, die es zuhause
gibt, auch hier? Und b) wie weit kann ich gehen, bis es richtig raucht?
Beziehungsweise zusätzlich b1) raucht es auch in der Öffentlichkeit, wenn ich
voll aufdrehe?
Da sitzt man dann über langsam erkaltendem Essen unter den
immer genervteren Blicken der Umsitzenden und versucht, das Kind wie so oft zu
erziehen und an seinen gesunden Menschenverstand zu appellieren, der leider im
Alter von 2 etwa so ausgereift ist wie der butterweiche Büffelmozzarella, den
das Kind bereits – seinen Unmut kund tuend – an die Tapete gespuckt und mit dem
Hinterkopf nachdrücklich einmassiert hat.
Die rettende Lösung und leider noch immer in zu wenigen
Restaurants vorhanden: Der Kinderstuhl, ein paar Stifte und simples, weißes
Zeichenpapier oder auch ein paar Kinderbücher, ein kleines Puzzle oder
ähnliches, denn das eigens mitgebrachte Material wird ja zumeist aus Grundsatz
verschmäht, in die Teller anderer Leute, auf die hilflosen Eltern oder auf den
Boden geworfen.
Zertifikate für Familienfreundlichkeit gibt es bereits
einige in Hessen, unter anderem „Selbstverständlich Familienfreundlich“ von der
IHK-Kassel und die selbst entwickelte und 62 Fragen lange Zertifizierung für
Gastronomie der Familienstadt mit Zukunft Büdingen.
Doch wo finden Nicht-Büdinger-Eltern ein Restaurant in ihrer
Nähe, in dem die ganze Familie ein Essen genießen kann?
Ein Tipp ist der FamilienWirt unter http://www.kinder-im-restaurant.com,
wo nach Postleitzahl oder Bundesland ein Familienfreundliches Restaurant
gefunden werden kann und auch direkt angezeigt wird, was vor Ort geboten ist.
Kinderteller, Spielplatz, Wickeltisch, Spielzeug und ähnliches. Denn auch eine
volle Windel ist für alle Beteiligten und einen Umkreis von ca. 3 Metern ein
eher unangenehmes Phänomen, speziell, wenn kein Wickeltisch zur Verfügung
steht. Was tut man in so einem Fall? Augen zu und durch! An dieser Stelle
möchte ich mich aber bei allen Besuchern des Hawwerkastens in Gießen im Januar
letzten Jahres entschuldigen: Es ging nicht anders, es gab nur die Bank im
Gastraum und es hätte niemand etwas davon gehabt, wenn das Kind übergelaufen
wäre.
((Bild Julia und Bernd Böhm))
Was tut der FamilienWirt?
„Warum mit Kindern auf das Essengehen verzichten? Sie
gehören zum Leben dazu und wo sollen sie sonst den Umgang lernen und erfahren,
dass Essen etwas wertvolles ist?“ erklärt Bernd Böhm von mentis Kommunikation
und Werbung. „Wir essen alle gern und wünschen uns, die Kleinen auch mitnehmen
zu können. Darum ist das Spielzeug im Lokal, eine kleine Ecke und ein
Kinderstuhl so wichtig.“ Eigentlich sind sie ja seit 34 Jahren eine
Werbeagentur, aber ein wichtiges „Kind“ ist die Seite http://www.kinder-im-restaurant.com,
um Familien die Möglichkeit zu geben, anhand von Kundenrezensionen und einer
Auflistung von Icons wie Hochstuhl, Kindermenü, Malsachen, Spielecke,
Wickeltisch, Barrierefreiheit und Co über eine Umkreissuche ein
familienfreundliches Restaurant zu finden. Die Idee entstand vor 2 Jahren, als
man sich mit der Vermarktung von speziellem und sehr hochwertigem Holzspielzeug
für die Gastronomie, sogenannten Gastro-Toys, beschäftigte. Deutschlandweit
können sich Lokalbesitzer und Anbieter von Ausflugszielen nun eintragen und den
Familien zeigen, was geboten wird. Geplant ist eine Ausweitung der website auf
den Österreichischen Raum und die deutschsprachige Schweiz. „Wenn man sich als
Kind schon wohlgefühlt hat in einem Lokal, dann kommt man auch als Erwachsener
wieder.“ Sagt Bernd Böhm. „Die Kinder sind die Kunden von morgen, das müssen die
Gastronomen einsehen. Außerdem füllen sie die Tageslücken im Lokal, denn der
eigentliche Betrieb startet ja sonst erst gegen 19 Uhr. Und wenn dann ein
Wickeltisch aufgestellt wird, dann doch auch bitte nicht in die hinterste Ecke
des Damenklos. Wir Männer sind heute emanzipiert, wir wickeln auch!“ Selbst
Vater und Opa, weiß Böhm, wovon er spricht und er weiß auch, wie schwierig es
sein kann, wenn der Nachwuchs bereits auf dem Nachbartisch turnt, oder man
unterwegs ist und keine Möglichkeit zur Einkehr findet. „Der größte Fehler ist,
den Kindern das Essen zuerst zu bringen.“ Erklärt Böhm. „Dann kann es sein,
dass man das Restaurant verlassen muss, ehe man selbst gegessen hat, weil die
Kinder nicht mehr zu bändigen sind.“ Ja, das kennen wohl die meisten. Oder man
schlingt es herunter und lächelt krampfhaft nach allen Seiten, während das süße
Kleine mal eben die Kerzen aus den Ständern reißt und kreischt „Is hab ein
Swert! Peng Peng!“
Kommentare
Kommentar veröffentlichen